Wir setzen auf Freiwilligkeit

(c) Diakonie RWL Jürgen Thor

Bild: (c) Diakonie RWL, Jürgen Thor, Leiter des Zentrums Freiwilligendienste bei der Diakonie RWL

Sieben Jahre nach Aussetzen der Wehrpflicht gibt es - angestoßen von CDU-Politikern - eine Diskussion, ob in Deutschland eine allgemeine Dienstpflicht eingeführt werden sollte. Die Diakonie RWL hat dazu eine klare Position: Sie setzt auf Freiwilligkeit. Jürgen Thor, Leiter der Freiwilligendienste, erklärt im Gespräch, warum.

Nicht zum ersten Mal gibt es in Deutschland eine Debatte um einen verpflichtenden sozialen Dienst für junge Leute. Ist diese Diskussion diesmal mehr als eine Eintagsfliege im Sommerloch?

Ich rechne nicht damit, dass aus dieser Diskussion tatsächlich eine Änderung unserer Verfassung erfolgt und wir einen allgemeinen Pflichtdienst bekommen. Dafür sind die rechtlichen Hürden viel zu hoch. Die Wehrpflicht und damit den Zivildienst wieder einzuführen, wäre sehr viel einfacher, aber dahin will zu Recht niemand zurück. Die Anforderungen im Militär haben sich mit den Auslandseinsätzen deutlich verändert. Dem Zivildienst trauert in den sozialen Einrichtungen auch kaum jemand nach, denn die Erfahrungen mit dem FSJ und Bundesfreiwilligendienst sind durchweg positiv. Rund 12 Prozent eines Jahrgangs entscheidet sich inzwischen dafür. Knapp 2.000 Freiwillige betreuen wir bei der Diakonie RWL. Tendenz steigend. Unsere Einsatzstellen sind meist sehr zufrieden mit ihnen, denn sie sind motiviert und engagiert. Dafür ist die Freiwilligkeit aber der entscheidende Faktor.

Der Zivildienst war auch nicht freiwillig, aber viele junge Männer haben sich trotzdem engagiert in die soziale Arbeit eingebracht. Heute sind nur ein Drittel der jungen Leute in den Freiwilligendiensten männlich. Woran liegt das?

Das hat nach unseren Erfahrungen vor allem mit der Bezahlung der Freiwilligendienste zu tun. Nach der Schule möchten junge Männer möglichst schnell Geld verdienen. Das Taschengeld von rund 390 Euro im Monat ist vielen zu wenig. Hinzu kommt, dass sie davon auch noch ihre Fahrtkosten bezahlen müssen. Anstatt eine Dienstpflicht einzuführen, die ein erheblicher Teil der jungen Menschen als Zwang empfindet und deshalb nur widerwillig ableisten wird, sollten wir überlegen, wie wir die bestehenden Freiwilligendienste attraktiver machen könnten. Dazu gehört für mich die Anhebung des Taschengeldes, die Einführung eines Semestertickets für kostenfreie Fahrten und auch die Anrechnung des Freiwilligendienstes auf Ausbildung und Studium. Ich bin davon überzeugt, dass das noch mehr junge Menschen, vor allem junge Männer, in einen Freiwilligendienst bringen wird.

Die meisten Sozialverbände sprechen sich in der Debatte gegen eine allgemeine Dienstpflicht aus. Der Leiter der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, Ulrich Pohl, hält sie dagegen für sinnvoll. Er möchte ein soziales Pflichtjahr aber mit der Möglichkeit eines europäischen Austausches verknüpfen. Was halten Sie davon?

Ulrich Pohl hat seine Idee schon im vergangenen Jahr in dem Buch "Ein JA muss sein - Plädoyer für ein Allgemeines Soziales Jahr in Deutschland und Europa" ausführlich beschrieben. Damit vertritt er aber eine Einzelposition. Zum einen ist das mit nationalem und europäischem Recht nicht vereinbar. Das zu ändern, wäre eine sehr hohe Hürde. Zum anderen stellen wir in unserem "Incomer-Programm" immer wieder fest, dass es schwierig ist, einen Austausch über Grenzen hinweg zu organisieren. Dies jährlich für rund 700.000 junge Menschen zu tun, wäre mit enormen Kosten verbunden. Wir benötigten dafür einen riesigen Behördenapparat.

Mit einer allgemeinen Dienstpflicht möchten die Befürworter vor allem eines: den Fachkräftemangel bekämpfen. Da rund 40 Prozent der Freiwilligen danach tatsächlich einen sozialen Beruf ergreifen wollen, scheint die Idee auf den ersten Blick nicht abwegig.

Wir müssen dabei allerdings bedenken, dass sich die Menschen, die einen sozialen Freiwilligendienst machen, bereits für dieses Arbeitsfeld interessieren. Ich rechne nicht damit, dass eine allgemeine Dienstpflicht tatsächlich dazu führen könnte, dass sich sehr viel mehr Menschen für soziale Berufe entscheiden und damit der Fachkräftemangel zu beseitigen ist. Da müssen wir an ganz anderen Schrauben drehen und diese Berufe attraktiver machen. Ich sehe allerdings noch Luft nach oben, wenn es darum geht, junge Menschen aus dem Ausland als Fachkräfte zu gewinnen. Viele, die zu uns kommen, wollen gerne bleiben und eine Ausbildung machen. Hier sollten wir die Hürden niedriger setzen.

Das Gespräch führte Sabine Damaschke.

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